Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Zum Krieg und anderen, weltweiten Schrecken hinzu kam eine Katastrophe in der Briefträgerin kleinem Leben: die Wohnungskündigung. Binnen dreier Monate soll sie aus dem Häuschen, in dem sie mehr als zwanzig Jahre lebte, verschwinden. Mit einer dubiosen Eigenbedarfsbegründung. Auf den Schock folgten Angst, Trauer, Wut und Zorn. Und die Erinnerung an das Schema vom Tal der Tränen, bei der ihr jetzt wie damals, als es auf der Post vorgeführt wurde, Ärger hochkam. Titel: «Die Veränderungen». In ihrer Anfangszeit bei der Post vor vierzehn Jahren, so kommt es der Briefträgerin vor, waren Themen wie «Neuerungen», «Tempotempo», «Zeit ist Geld und ein Schwatz liegt nicht drin» Dauerbrenner. Ist das heute weniger der Fall, weil die Mitarbeitenden diese Vorgaben inzwischen verinnerlicht haben?
«Keine Trauer ist gleich wie die
andere, kein Zorn ist wie ein zweiter.
DAS TAL DER TRÄNEN. Die Briefträgerin sieht nicht mehr jede Etappe dieser Berg- oder richtiger Taltour vor sich, erinnert sich aber: Einer Angestellten wird eine Veränderung zugemutet. Erste Reaktion: Sie wird bockig. Dann kommt der Absturz ins Tal der Tränen, wo wohl ein aufnahmebereites Bächlein fliesst. Wenn genug geheult ist, erfolgt der Aufstieg. Kraxeln, um schliesslich im Zimmer der Akzeptanz anzukommen, sich dort häuslich einzurichten und gottergeben auf den nächsten Chlapf zu warten. Er kommt bestimmt, denn das Leben ist Veränderung und Mitbestimmung ein Fremdwort. Ja, am meisten missfiel der Briefträgerin an diesem Schema: Die Person, das Individuum mit seinem Willen und seiner Kompetenz, verschwindet dahinter. Keine Trauer ist gleich wie die andere, kein Zorn ist wie ein zweiter. Kein Ereignis bedeutet für alle das gleiche. Trotzdem wird alles über einen Leisten geschlagen.
Vierzehn Tage ging die Briefträgerin nun auf allen vieren. Dann fand sie zurück zum aufrechten Gang. Und wehrt sich! Für ihre Rechte und gegen den Machtmissbrauch. Sie hat nun Pläne, wie es weitergehen könnte. Selber erfundene Ideen! Kein Zimmer der Akzeptanz! Dann noch lieber die Notschlafstelle! – Die Solidarität ringsum ist gross. Und tut gut!